Katharina Kneip
Reiseprojekt
Projektablauf
Meine Reise beginnt im Januar 2019 mit der Zug- und Schifffahrt nach Sankt Petersburg von wo aus ich mit dem Zug nach Murmansk fahre. Dort möchte ich die „Association of Sámi in Murmansk Oblast“ besuchen und herausfinden, in wie weit das Joiken dort noch zu finden ist. Von Murmansk aus reise ich mit dem Bus nach Kirkenes und dann gehts los!
Von dort an werde ich den größten Teil über Tana, Lakselv, Skarsvåg und Alta - mit "Abstecher" zum Nordkapp bis nach Tromsø mit Schneeschuhen wandern. Alleine mit einer vollbepackten Pulka besuche ich Joiksänger*innen auf dem Weg und will so das Land mit seinen Temperaturen unter -30°C, Schneestürmen und Menschen kennen lernen. An der Universität Tromsø werde ich das „Centre for Sami Studies“ sowie das „Tromsø Museum“, in welchem die Geschichte und Kultur der Samen beschrieben wird, besuchen. Von dort aus geht es weiter nach Kiruna (SWE), um mich dann mit Schiff und Bahn wieder Richtung Münster zu bewegen.
Mir ist es wichtig große Teile des Weges zu Fuß oder mit Bus und Bahn zurück zu legen, um so die Veränderung der Landschaft und Distanz bewusst wahrnehmen zu können und mich alleine der Wechselwirkung zwischen Natur und der Wahrnehmung von Verstreichen von Zeit auszusetzen. Wenige im Vorhinein gebuchte Fahrten ermöglichen mir flexibel auf die jeweilige Situation mit neuen Menschen einzugehen, möglichen Einladungen spontan zu folgen und mich so auf den Moment einzulassen.
Münster werde ich voraussichtlich Mitte April wieder erreichen.
Warum das Ganze?
Ich sehe diese Reise als eine Expedition mit zwei zu untersuchenden Aspekten:
Joik
Im Verlauf der Reise möchte ich Ansätze des Joikens erlernen und erfahren, wie sich der Bezug der Samen in den unterschiedlichen Ländern dazu verändert. Besonders interessiert mich, wie mit dem Spannungsfeld zwischen geschichtserzählender Musik, welche im jeweilig aktuellen Zeitverlauf mitläuft und ggf. vergangene aufgreift und der Zeitungebundenheit in traditionellen Joiks umgegangen wird. Dafür ist mir wichtig aktuell praktizierende Sänger und Sängerinnen zu treffen. In Gesprächen mit Samen sowie dem Kennenlernen der Landschaft und Lebensweise der Menschen dort, durch Wanderungen, Zelten, Stille, Dunkelheit und das Alleinsein kann ich erfahren, ob und wie die Landschaft in welcher das Joiken entstand unter dem Aspekt linear vergehender Zeit zu betrachten ist, oder vielleicht eine Art in sich abgeschlossene „Zeitkapsel“ ist, welche, wie ein Joik, einen Moment und das Sein aufgreift, jedoch keinen Verlauf aufzeigt.
Stille Leere
Während es in Deutschland kaum möglich ist einen Ort zu finden, welcher weder landwirtschaftlich genutzt, beforstet, noch durch Flug- Auto- oder Bahnlärm belastet wird, gibt es im Norden Norwegens außer im Bereich der Ortschaften nur wenige befahrene Straßen. In der direkten Auseinandersetzung mit der Landschaft mit ihrem Tösen und ihrer Still sehe ich die Möglichkeit das Joiken von innen heraus kennen zu lernen. Beim Zurücklegen einer Strecke durch Wandern, kommt es nicht zu dem Moment des äußerlich wohnlich bzw. in Gewohnheiten Einrichtens. Dieser Moment des „Sichzuhausefühlens“ muss im Inneren entstehen und behalten werden. Darin sehe ich das Potenzial Stillstand zu erfahren, unabhängig das Umgebende wahrzunehmen und frei zu agieren. Mich interessiert, mich der Strecke mit ihrer Distanz durch die Abwesenheit von Licht, Wärme und gewohnten Umweltgeräuschen hindurch auszusetzen und in gewisser Weise täglich der Natur mit ihrer extremen Kälte ausgeliefert zu sein.
In der gesamten Zeit möchte ich mit dem Fieldrecorder Aufnahmen machen, versuchen die Stille einzufangen, Elemente der Gespräche, Joiks und Joikversuche. Ich möchte Samen an den unterschiedlichen Orten befragen, wie sie das Vergehen von Zeit wahrnehmen vor Ort und im Unterschied zu z.B. großen Städten. In der Auseinandersetzung mit akustischen Elementen sehe ich hier eine Möglichkeit das Vergehen und Ineinandergreifen von Zeitverläufen zu untersuchen. Während wir in der Geschwindigkeit eines Zeitverlaufs verharren oder festgehalten werden, ziehen die der anderen vorüber und erinnern uns an unser „Außen vor bleiben“ und vielleicht auch an unser trotz räumlicher Nähe bestehendes Gefühl der Isolation. Aus diesen Aufnahmen, Videos und Zeichnungen möchte ich eine Widmung an das Vergehen von Zeitverläufen und das Transferieren von „Zeitkapseln“ von einem Zeitverlauf in mögliche andere erarbeiten und den Aspekt des „Stillstands“ durch die gemachte Erfahrung neu beschreiben können - ein Joik in einer weiteren Sprache neben der des reinen Gesangs.
Hintergrund
Das Volk der Sami lebt heute in nördlichen Territorien Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands. Bis heute andauernde Diskriminierung und Unterdrückung drängte sie immer weiter in den Norden, verhindert die traditionelle Ausübung vieler Tätigkeiten, wie die der Rentierzucht in allen Familien und die damit verbundenen Art der Landvererbung oder das Schamanentum. Besonders auf der Kolahalbinsel in Russland griffen Russifizierung und Christianisierung stark um sich, so dass von heute insgesamt rund 90.000 Samen nur noch etwa 2000 in Russland leben. Auch wenn inzwischen von Finnland und Norwegen Sami als touristische Attraktion genutzt werden und es seit den 1970er-Jahren Unabhängigkeitsbewegungen gibt, sprechen immer weniger Menschen die Sprache der Samen oder leben nach ihrer Tradition.
In meinen Arbeiten untersuche ich besonders den Aspekt der Zeit, wie man sie möglicherweise anhalten oder beschleunigen könnte, ob es möglich ist, den linearen Zeitverlauf zu verlassen oder durch z.B. Wiederholungen „Zeit als begrenzte Ressource der Welt“ einzusparen. Besonders interessieren mich hierbei Augenblicke wie ein Stillstand der Zeit; immer gleich und doch unentbehrlich für das Folgende, wiederholen sie sich regelmäßig und meist nahezu unbeobachtet. Stillstand soll hier nicht als Stagnation oder nicht vergehender Moment verstanden werden, sondern vielmehr als der des „außen vor Bleibens“, als ein Augenblick, welcher durch seine Erneuerung der Wiederholung eine Art inneren, stillen Raum bietet, von welchem aus man sich selbst in der gesamten Konstellation des Moments wahrnehmen kann, da nichts Neues und Unbekanntes ablenkt. Seit ich begonnen habe, Klang nicht nur als Gestaltung eines bestehenden Augenblicks, sondern als eigenständigen, vergehenden Moment wahrzunehmen, untersuche ich seine Auswirkungen auf unsere Emotionen durch bestimmte, kreierte Soundscapes, welche Erinnerungen hervorrufen oft in Bezug zu bestimmten Positionen des Körpers in seinem Umfeld. Hier sehe ich eine Möglichkeit in die gewohnte Zeitgeschwindigkeit und -abfolge einzugreifen, sie zu stören und neu zu generieren.
Der Joik ist die traditionelle Gesangsform der Samen und eine der ältesten Gesangsformen Europas. Er diente und dient der Bewahrung kollektiver Erinnerungen mit sehr starker sozialer Funktion. Gejoikt wird nicht über etwas, sondern die Person, ein bestimmter Hund oder eine Landschaft „wird gejoikt“, d.h. in der Vorstellung des Joikenden und seiner Zuhörer wird das Gejoikte als eine kollektive Erinnerung lebendig. Dabei werden die jeweilige Interpretation sowie emotionale Assoziationen durch die Färbung der Stimme, Tempus und Stimmdruck verwoben, während auf die jeweilige Stimmung im Augenblick des Vortrags eingegangen wird. Nur selten werden zusammenhängende Worte gejoikt, sondern meist eine freie Abfolge einzelner Silben; der dem Jodeln ähnliche, kehlige Klang ist ein wichtiges Merkmal. Im ursprünglichen Verständnis des Joiks ist es eigentlich nicht möglich, den Joik aus seinem sozialen Kontext zu lösen. Seit den 1990er-Jahren gibt es jedoch bekannte SängerInnen, welche Elemente des Joiks mit z.B. Jazz oder Electrobeats verbinden sowie große Events wie den jährlich ausgetragenen „Sami Grand Prix“.
JavaScript is turned off.
Please enable JavaScript to view this site properly.